Zur Ausstellung: Adolf Dietrich Förderpreis 2011
Vorwort Publikation
von Eva Grundl
Zulassungen – Weglassungen – Auslassungen
In seinem „Versuch über den Menschlichen Verstand, Drittes Buch, Von den Wörtern“ von John Locke (1632 bis 1704) lesen wir noch vor dem eigentlichen Haupttext diese Zeilen: „Die Menschen wollen nicht, daß man von ihnen denkt, sie sprächen nur von ihren eigenen Einbildungen; man soll von ihnen glauben, sie sprächen von den Dingen, wie sie in Wirklichkeit sind.“ Der erste Entwurf des Versuchs datiert auf 1671 und im Jahr 1690 ordnete Locke, einer der Vor-DenkerInnen der Auf-Klärung „The doctrine of signs“ ein als den dritten Zweig der Wissenschaft neben der Ethik und der Philosophie als der „Mutter“ der Wissenschaft, welche lange Zeit verbal kommuniziert wurde über das Erzählen.
Wir ahnen schon was kommt nach dieser Inventio: SenderInnen, EmpfängerInnen, Kommunikation, Signifikant, Semiotik, Kontext und Kotext, Fiktion und Wirklichkeit, Differenz, Sinn und Bedeutung – sie alle und noch einige illustre Ingredienzien mehr ergeben das putzmuntere Arsenal an mitunter launigen Lustbarkeiten mit denen wir im Folgenden zu tun haben. Ihren räumlich-geographischen Ursprung hat diese erfrischend frische Bise in Flawil und Ray Hegelbach ist – ihr – Agens und Agent in Personalunion.
Bilder treiben ihn seit jeher, bisher und künftig – so ist ihm und uns zu wünschen – um wie an. Ursprünglich „Wunder, Omen“ meinend, vielleicht auch: bezeichnend, gehören zum begrifflichen Definitions-Raum auch die Erscheinungen der visuellen Phänomene, die inneren Vor-Stellungs-Bilder sowie die optische Reproduktion der gestalteten Wirklichkeit. Bilder sind Navigationsinstrumente als Kompasse in unseren Köpfen, sie bewohnen wärmend unsere Herzen und wehe sie verlassen diese. Bilder sind die Motoren, die Treib- Stoffe unseres Handelns.
In welchem Gewand sie uns immer begegnen, in konkreter, figurativer oder abstrakter Gestalt daher kommen, ob wir sie sehnsüchtig erwarten, sie zärtlich begehren, sie mordend stürmen, mit Schimpf und Schande vom Acker jagen: Bilder prägen, sie stiften mit die Identität der Menschen.
Dies weil ihnen die Eigenschaft innewohnt, einerseits Individualbesitz zu sein, wie sie im selben Zug nichts weniger als kultur- und gesellschaftsstiftendes Kollektiveigentum sind. Ihre Funktionen als Zeichen von und für Gesellschaften sind nichts weniger als deren Medien, ja Garanten der gesellschaftlichen Kommunikation wie conditio sine qua non deren Existenz überhaupt.
Es sind nicht zuletzt und auch diese Gedanken-Gänge, die Ray Hegelbach mutig betritt, erfolgreich erhellt, überzeugend beackert, wenn er sich künstlerisch auseinandersetzt mit jener abstrakten Formensprache wie sie in der und für die Statistik beispielsweise gesprochen wird. Graphische Phänomene wie Kuchen, Schnitte und Balken werden – egal ob in der Hoffnung oder Überzeugung auf gelingende Kommunikationen – von ihren MacherInnen vorgeschoben, den EmpfängerInnen die Welt zumal in Teilen erklären zu können. Und da auch hier die MacherInnen Menschen sind, soll man von ihnen glauben, sie sprächen von den Dingen, wie sie in Wirklichkeit sind.
In der Tat: Als Zeichen markieren all die von Ray Hegelbach neu sortierten, geordneten und strukturierten Diagramme etwas und es darf nicht zu gering veranschlagt werden, dass sie das Markierte auch deshalb bedeutsam machen, weil es sich von Nicht- Markiertem unterscheidet.
Nicht vergessen werden darf: Aufmerksam macht gerade dieser Teil der Arbeit von Ray Hegelbach auf jenen in der Regel unbewußt ablaufenden Prozess, dass Kuchen- und Balkendiagramme wie andere graphische Phänomene als gewissermassen höchstkonzentrierte Substanzen, als Exzerpte, doch wieder zurück-übersetzt werden müssen in ihre Ursprungssubstanz, in Worte nämlich, um das Erzählen von ihnen, eine Verständigung über sie im Sinne der Fortschreibung ihrer Bedeutung zu ermöglichen, welche sie ja transportieren.
All den Repräsentanten und Ausschnitten von Wirklichkeit geht ihr je eigener Schatten mit her, ja eilt ihnen dann und wann voraus. Denn Markiertes ist immer ein Ergebnis, sinnfälliges Indiz von Weglassungen. Welche zerstörerischen Kräfte letztere in, mit den Menschen zu entfachen vermögen, füllt die Geschichtsbücher und ganze Bibliotheken. Seinen blutjungen Finger in diese Wunde legt Ray Hegelbach explizit und eben auch mit seiner Malerei: Portraits von HerrscherInnen, heroische Bilder und Darstellungen bedeutender historischer Ereignisse greift er auf, um sie anzugreifen und vor allem, um Neues zu schaffen.
Mit seiner Formensprache, seiner jungen wie vielversprechenden eigenen Ikonographie formuliert Ray Hegelbach bildhaft Fragen wie jene nach den Mechanismen und Mustern, die es braucht, damit die Kommunikation über die Bilder-Medien für die Individuen und in den Gesellschaften funktioniert. „Von Kind an habe ich meinen Zugang zur Welt über Bilder“, sagt Hegelbach, der einen bedeutenden Teil der (Letzt-)Gewißheiten unserer Existenz mit seiner Arbeit konsequent, gründlich hinterfrägt. Ihm und uns ist gemeinsam, dass Bilder uns ausmachen, uns antreiben. Und zweifelsohne reden wir bei alledem von den Dingen wie sie in Wirklichkeit sind.
Vorwort Katalog