Lika Nüssli

La vie est un long fleuve

9. April - 30. Mai 2021

La vie est un long fleuve

Lika Nüssli im Kunstraum Kreuzlingen

 

Das Leben ist ein langer Fluss.

Ein Fluss, das heisst: grösserer natürlicher Wasserlauf, in fliessender Bewegung;

ein stetiger, ununterbrochener Fortgang, etwas, das sich bewegt, immerzu bewegt. Wenn ich mich in diesen Fluss begebe, dann bewege auch ich mich,

einfach und stetig, unabhängig von meinem eigenen Körper trägt mich etwas fort,

trägt mich weiter, der Fluss und das Wasser. 


Das Leben ist ein langer Fluss.

Und: Das Leben ist eine Lust.

Und diese Lust

ist farbig.

 

Farben auf Papier. Die Farben: Im Plural, weit und hoch. Linien, verschlungene Ströme, grafische Formen. In- und aneinander, erinnern an Bewegung, konkret an Körper: in Bewegung. Das Papier: Hoch und breit und leicht weiss. Hell hebt es sich ab und ist doch Teil der grossformatigen Aquarellarbeiten, wie eine bemalte Haut, die durch die Farbe atmet.

Lika Nüsslis Arbeiten unter dem Titel „La vie est un long fleuve“  lassen an die flüchtige aber darin präzise Wärme von Erinnerungen denken. Erinnerungen an Begegnungen mit Belebtem wie Städten, Gebäuden, Menschen darin. Es sind intensive Beobachtungen in Form und Farbe, nicht statisch, sondern fluide in ihrer Wahrnehmung. Eingefangene, assoziative Momentaufnahmen, die sich noch auf dem Papier fortwährend zu verändern scheinen. Wie Licht, das sich durch verschiedene Strukturen von Glas bricht, und dieses Glas ist das Auge der Künstlerin, mit dem sie ihre Umgebung, nah und fern, betrachtet.

Malen macht mich glücklich, sagt Lika Nüssli selbst. Ein Satz, einfach und wahr. Und dadurch auffallend. Die im Kunstraum Kreuzlingen gezeigten Arbeiten entstanden 2020, als die Künstlerin aus St. Gallen im Rahmen des Ateliers­ti­pendiums der Kultur­stiftung Thurgau sechs Monate in der serbischen Hauptstadt Belgrad arbeiten und leben konnte. Die nun gezeigten Aquarelle bewegen sich zwischen Malerei und Zeichnung. Es sind Experimente mit Farbe, illus­trativen und abstrakten Elementen. Eine grosse Freiheit wird darin spürbar, im Gestalten, im Denken, im Zugang zum Material. Von einer „visuellen Anatomie“ spricht Nüssli selbst in der Beschreibung ihrer Aquarellarbeiten, was schnell nachvollziehbar wird, wenn man die Farbkörper betrachtet, die sich auf den Papieren einem entgegenstrecken. Kämpferisch, weit ausufernd und dabei so leicht und flüchtig, wie farbige Luft, die einem entgegenströmt.

Lika Nüsslis gesamte künstlerische Arbeit leuchtet durch ihre Vielfalt. Sie ist Illustratorin, Comic-Zeichnerin, Künstlerin, Performerin. Verwebt oft mehrere Stränge und kombiniert diese in installativen Arbeiten.

Nüsslis Fokus richtet sich auf Natur, Politik und Gesell­schaft ebenso wie auf die persönliche Geschichte. Alles, was sie umgibt, was einen Kontakt ermöglicht. Und eben dieser Kontakt ist es, den sie sucht, um ihn mit den Mitteln der eigenen Kunst fassbar und zugänglich zu machen. Ihre Arbeitsweise beschreibt Nüssli selbst wie einen Tanz zwischen und mit Farben und Wahrnehmungen. Ein Experimentieren voller Lust und Freude, unerschöpflich. Die eigenen Hände und Augen oder auch der gesamte Körper, alles wird zum Werkzeug, mit dem sie sich Orten und Thematiken nähert, für einen Moment festhält, um einen eigenen Eindruck dazu zu verfassen.
„La vie est un long fleuve“ erzählt von einem sich Treiben lassen mit offenen Augen. Gleich assoziativen, farbkräftigen Kontaktabzügen von Wirklichkeit. Eine grosse Freiheit wird darin deutlich, fabulierend und frivol. Und eine immense Freude, die ehrliche Lust an Beobachtung und Annäherung an das, was vor einem liegt, Belgrads Strassen, Gebäude und Menschen, die Lika Nüsslis künstlerischem Blick begegnen. La vie est un long fleuve [Je te crois bien]

 

Barbara Marie Hofmann, 2021