Zur Ausstellung: Elisabeth Strässle
Kunstraum Ausklang 15./16./17. Mai
catalogue d’oiseaux
Catalogue d’oiseaux. Elisabeth Strässle – Malerei und Zeichnung
Warum erfahren Vögel unter Menschen von allen Tiergruppen die grösste Zuwendung? Man sieht sie leicht, und wenn man sie nicht sieht, kann man sie hören. Manche singen, wie Amseln etwa, auch noch so, dass sie sich in unsere klanglichen Harmoniebedürfnisse einfügen. Oder die Rohrdommel schmettert ihren Laut wie eine Trompete in die Umgebung.
Vögel haben immer wieder Kulturschaffende wie Autoren, Musiker und Künstler in ihren Bann gezogen. Es war Theodor Adorno, der in seiner Ästhetischen Theorie im Gesang der Amsel die ganze Ambivalenz des Naturschönen – das Anrührende und das Schreckliche – als Teil des Mythos beschrieben hat. Der Komponist Olivier Messiaen schrieb ein Stück Catalogue d’oiseaux, das seinerseits die Schweizer Künstlerin Elisabeth Strässle zu einer Serie von bildlichen Untersuchungen in Zeichnung und Malerei zu Kranichen, Rohrdommeln und Amseln veranlasst hat.
Die Künstlerin ist fasziniert von den Zügen der Kraniche über die Weiten von Europa. Sie lernte über Tiermaler wie John James Audubon, Johann Friedrich Neumann oder Sara Stone die Malerei von Vogelkörpern nach taxidermischen Präparaten kennen. Im Jahr 2019 besuchte sie mehrmals die Vogelwarte Sempach und ihre reichhaltige Fachbibliothek, um über Körperbau, Gesang und Sozialverhalten der Vögel zu studieren. Und im Herbst 2019 reiste sie gar nach Köthen nach Sachsen-Anhalt, wo sie das Museum des grossen deutschen Vogelforscher und Taxidermen Naumann aus dem 19. Jahrhundert besuchte.
Aus Tierskizzen entstanden grosse Aquarellformate und wandfüllende Ölmalereien zu einzelnen Vögeln – richtig gehende Porträts im Überformat. Die Vögel bezirzen und berauschen uns; und sie können eine solche Grösse annehmen, dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen müssen. Aus Skizzen von Schallwellen zum Vogelgesang der einzelnen Arten erstellte Elisabeth Strässle auch diagrammhafte Zeichnungsblätter, die charakteristische Formen der Schwingen festhalten und transformieren.
Aus der im Jahr 2019 entstandenen neuen Werkgruppen wird Elisabeth Strässle grossformatige Malerei in Öl und Blätter mit Tuschzeichnungen und Aquarellmalerei ziehen sich durch den grossen hellen Raum. Die Besucher*innen werden auch nach aussen geführt, ins Wollmatinger Ried bei Konstanz, wo eine Exkursion stattfinden wird. Ein reichhaltiges Rahmenprogramm begleitet die Ausstellung, die von Sibylle Omlin als Gastkuratorin mit der Künstlerin konzipiert wird.
Zur Künstlerin Elisabeth Strässle:
Die Arbeit der Künstlerin Elisabeth Strässle (*1942) besteht hauptsächlich aus Malerei und Zeichnung. Sie malt meist abstrakt oder monochrom, manchmal tauchen schemenhafte Tier-Figuren, zum Beispiel ein Affe, ein Esel, ein Elefant oder eine Krähe aus den dunklen Gründen auf. Die Beschäftigung mit Themen aus der Natur- und Tierwelt zieht sich über Jahre hin und umfassen Recherchen in naturhistorischen Museen und Fachbibliotheken. In vielen Zeichnungen werden die grossen Bilder präzise vorbereitet, bis die Künstlerin Inhalt und Formen genau kennt.
Aus dem Jahr 1981 stammt eine frühe Zeichnung aus New York, die das Skelett eines Affen aus dem American Museum of Natural History zeigt (vgl. Katalog «Derborence», S.43). Dem damaligen Zeichenstil – das vage Einfangen eines Gegenstandes – ist sie bis heute treu geblieben. Vergleichbare Zeichnungen auf Papier oder Leinwand, die Affen- und Elefanten-Skelette zeigen, sind zwischen 2010 und 2014 entstanden und von Besuchen im Naturhistorischen Museum Basel inspiriert. Der feine Strich, mit dem sie die Skelette behutsam erfasst, scheint deren Fragilität zu respektieren, ja diese gleichsam zu verlebendigen.
Nach ihrer Rückkehr aus New York installierte sich Elisabeth Strässle 1994 in der Solothurner Gemeinde Derendingen und begann mit intensiven Naturstudien in der Schweiz und besuchte naturwissenschaftliche Museen für Objektstudien. Im Jahr 2015 bis 2017 hielt sich Elisabeth Strässle mehrmals in Derborence auf, wo sich im 18. Jahrhundert zwei grosse Bergstürze ereigneten, an die die gleichnamige Novelle von Charles Ferdinand Ramuz erinnert. Mit dem Skizzenbuch in der Hand wanderte Elisabeth Strässle im Talkessel umher, zeichnete und – zurück im Atelier – malte sie eine Reihe von auf weissem Grund isolierten Naturansichten aus dem Tal mit in dichten Kreiseln gesetzter monochromer Ölfarbe. «Elisabeth Strässle wird zu einer malenden und zeichnenden Feld- und Zeitforscherin, deren künstlerische Motivation im Entdecken, Erinnern und Vorstellen liegt», schreibt der Direktor des Kunstmuseums Solothurn Christoph Vögele zu ihrem Werk.